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Kennen wir uns?

Wir sind hier, um euch,

mit euch Pödelwitz,

verbunden im kreisenden Fluss unserer Atem.

Eure Körper kennen uns innig!

Erinnert ihr euch?

an den Urwald direkt hinter Pödelwitz

Gestern noch waren wir hier überall

und jeden Tag kommen wir wieder

zurück wohin auch wir zuhause sind.

Inmitten des Dickichts wachsen Pilze aus den Zaunlatten

und eine Kohlmeise fliegt mit der Brombeere im Schnabel

schon zum nächsten Garten.

13.7.22

 


 

Ein Dorf am Tagebau und ein Anarchismus in jeder Subkultur

– eine Veranstaltung mit Perspektive Selbstverwaltung 03.01.22 Berlin – https://perspektivesv.noblogs.org/

In Pödelwitz im Leipziger Braunkohlerevier kämpfen Menschen seit über 10 Jahren, um das Dorf vor der Braunkohle-Baggerkante zu retten. Der Protest verbindet Dorfbewohner:innen, Aktivisti:nnen und eine Pfarrerin. Es hat sich gelohnt: Pödelwitz bleibt! Und jetzt ist die Frage, wie wird zusammen ein neues Dorf aufgebaut?

Das stellt die Bewegung vor neue Herausforderungen und Fragen. Fragen über Selbstverwaltung, über Eigentum- und Besitzverhältnisse, über eine bessere Zukunft?

Ja, Pödelwitz bleibt, aber wie? Leer? Dem Zerfall preisgegeben? Spekulationsobjekt der Mibrag (Mitteldeutsche BraunkohlenGesellschaft)?

Denn auch wenn die Erde unter Pödelwitz bleibt, befinden sich weiterhin 80 % des Dorfes im Privateigentum der Mibrag. Somit ist der Erhalt des Dorfes immer noch nicht gesichert, da davon auszugehen ist, dass die Mibrag mit dem Grund und Boden den sie einst abbaggern wollte, spekulieren wird.

Zudem hat der Tagebau um Pödelwitz herum nicht nur die Erde aufgerissen, sondern auch die Dorfgemeinschaft erodiert und verweht.

Nach der offiziellen Bekanntgabe, das Pödelwitz bleiben kann, ist die Bewegung in eine neue Phase eingetreten. Dies ist für soziale Bewegungen immer wieder eine Herausforderung. Was jetzt passiert ist oft vorhersehbar: Es wird erklärt, dass der Unmut gehört wurde und daher beschlossen, dass der konkrete Missstand X beseitigt wird. Ein Wald, ein Dorf darf stehen bleiben, der klimazerstörende Kapitalismus geht munter weiter. Die Bewegung feiert einen Sieg, viele Menschen halten den Kampf für nicht mehr nötig und die herrschenden Strukturen können gut sagen: „Ihr habt doch gewonnen, das Dorf bleibt stehen, was wollt ihr denn?“.

Doch wir haben immer für mehr als „nur“ den Erhalt eines Dorfes gekämpft.

Und ist das dann wirklich schon der ganze Traum? Der MIBRAG die Häuser abkaufen zu dürfen und dann ein Leben lang die Millionen zurück zu zahlen, die einen doch wieder in die Lohnabhänigkeit treiben?

Natürlich hat die MIBRAG über Jahrzehnte Profite gemacht auf Kosten der Landstriche und all ihrer menschlichen und nicht-menschlichen Bewohner*innen – und es wird immer wahrscheinlicher, dass sie nicht mal für die Renaturierungskosten aufkommen kann.

Natürlich schuldet sie dem Dorf etwas, nicht anders herum; natürlich müssten die ausgebeuteten Landstriche vergesellschaftet werden und die MIBRAG enteignet. Aber während die Häuser Tag für Tag verfallen, erscheint selbst der Kauf schon als utopisch.

Welche Forderungen können wir stellen? Welche Opfer fordert radikale Utopien?

In Pödelwitz herrscht kein Machtvakuum, aber die Maschine ist kurz in’s Stottern geraten. Ein bisschen Freiraum, der nie hätte entstehen sollen. Auch das Wegbrechen der alten Braunkohle-Industrie und die Lücke, die sie in der Region hinterlässt, in einem neoliberalen Spätkapitalismus, der für seine Akkumulation immer weniger auf tatsächliche Produktion angewiesen ist, könnten anderen Welten Platz geben, andere Arten und Weisen des (Über)Lebens nicht nur möglich, sondern nötig machen.

Es war Widerständigkeit, die Pödelwitz gerettet hat, seine Geschichte, all die Bodenschichten, die den Ort tragen und die Kohle zudecken, davor bewahrt hat, sich in Staub und Abraum aufzulösen. Und so wird die Widerständigkeit selbst zur Geschichte von Pödelwitz. So wie sich die jüngsten Ereignisse langsam kompostieren, bilden sie den Nährboden für das, was jetzt aus Pödelwitz wachsen kann: Für einen Ort, in den das Bewusstsein über die zerstörerische Kraft des Kapitalismus und die Erfahrung eines erfolgreichen Kampfes unwiederbringlich eingeschrieben ist.
 Pödelwitz kann zu einem Ort werden, der Widerstand nährt, der Widerständigen Kraft gibt, der in Dankbarkeit die widerständige Kraft zurückgibt, die Pödelwitz gerettet hat und die die ganze Welt, die all die vielen Welten brauchen.

Denn schon vor vierhundert Jahren haben die Menschen die Zäune niedergerissen, mit denen ihre Allmenden eingehegt wurden und noch immer – immer – stößt die Zerstörung und Enteignung auf Widerstand, in Pödelwitz und weltweit.

Wenn wir Gegenmacht aufbauen, beginnt das meistens auf kleiner, lokaler Ebene. Allein, dass jemand wie Jens Hausner, ein ländlicher, ostdeutscher Mittfünfziger, der gerade sein Dorf gerettet hat, über globale Klimagerechtigkeit spricht, für sie kämpft und sich mit nichts weniger zufriedengeben will, zeigt, dass die Klimabewegung Fortschritte macht, dass wir uns verbünden.

Lassen wir los von dem Verständnis die Gesellschaft sei Mainstream, dann spüren wir bald wie tief wir in ihr verankert sind. Es bieten sich hier neue Perspektiven. Aus unserer eigenen gelebten Realität bauen wir Verbindungen zu anderen gelebten Realitäten auf. Zusammen arbeiten wir, in Verschiedenheit für Selbstorganisierung und eine solidarischere Welt. Wir wollen keine anarchistische Subkultur, sondern einen Anarchismus in jeder Subkultur!

Pödelwitz ist ein Versuch der Selbstverwaltung im gegenseitigen Widerspruch und zeitgleich Zuspruch, zu dörflichen Lebensweisen, zu traditioneller Bergbaukultur, zum Leerstand in Verwilderung, zu an den Ufern eines riesigen Sees liegenden Tourismus Resort – wie einige sich das Pödelwitz der Zukunft erhoffen zur Enteignung dessen was immer allen gehörte und als Antwort die Wieder- Vergesellschaftung dem was heute niemanden mehr gehört, zum resilienten Dorf, Dorf des Alltagsanarchismus der in so vielen Dörfern weltweit in Vergangenheit und Gegenwart gelebt wurde und wird.

 

Grüße aus Pödelwitz