Widerstandsgeschichte

Pödelwitz ist ein über 700 Jahre altes Bauerndorf im Süden von Leipzig, erhalten in der Form eines slawischen Rundlings. Es liegt am Rand des Braunkohle-Tagebaus „Vereinigtes Schleenhain“, für den zwischen 1966 und 2009 bereits die Dörfer Leipen, Piegel, Peres, Droßdorf, Breunsdorf und Heuersdorf devastiert wurden. Der Tagebau wird von der MIBRAG (Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft mbH) betrieben.

2011: MIBRAG und Landesregierung leiten die Zerstörung von Pödelwitz für die Braunkohle ein
Mit der Neuaufstellung des Braunkohleplans Tagebau Vereinigtes Schleenhain wird Pödelwitz zusätzlich und neu als „Vorbehaltsgebiet“ für den Braunkohleabbau ausgewiesen. Ein Antrag für eine bergrechtliche Genehmigung für das Projekt wird jedoch nie gestellt.

2012: Umsiedlungsvertrag zwischen der MIBRAG und der Stadt Groitzsch
Obwohl es keine Genehmigung zur Abbaggerung gibt, unterzeichnen die MIBRAG und die Stadt Groitzsch am 16.11.2012 einen Umsiedlungsvertrag für Pödelwitz. So kann die MIBRAG zwischen 2014 – 2018 über privatrechtliche Verträge ca. 80% der Einwohner*innen aus ihren Grundstücken herauskaufen.

Schon seit 2009 versuchte eine kleine Gruppe von Einwohnerinnen den Umsiedlungsvertrag zu verhindern. Der Regionale Planungsverband Westsachsen (RPV), die damalige Landesregierung (CDU/FDP) und die MIBRAG setzten alle Hebel in Bewegung, damit der Umsiedlungsvertrag zustande kam. Dazu lockte das Bergbauunternehmen mit großzügigen Entschädigungszahlungen. Der Leiter des RPV, Prof. Dr. Andreas Berkner, stellte sich als ,,unabhängiger“ Moderator in dem Entscheidungsprozess zur Zukunft von Pödelwitz zur Verfügung. Man wollte unbedingt eine ,,demokratische“ Mehrheit von Einwohnerinnen darstellen, die sich für eine Umsiedlung aussprechen, was den beteiligten Akteuren letztendlich auch gelang. Ein Mitarbeiter der Landesregierung kippte den Stadtrat in mehreren nichtöffentlichen Sitzungen zur Unterzeichnung des Umsiedlungsvertrages.

2013: Gründung der BI „Pro Pödelwitz“
Im Frühling 2013 gründen einige widerständige Dorfbewohner*innen die Bürgerinitiative „Pro Pödelwitz“, um sich dem Druck der MIBRAG und der Sächsischen Landesregierung entgegenzustellen und für den Erhalt des Dorfes zu kämpfen. Sie machen Öffentlichkeitsarbeit und nehmen Kontakt zu einer Anwältin auf, um mögliche Grundabtretungsverfahren über den juristischen Weg zu verhindern.

2017: Gründung des Bündnisses „Pödelwitz Bleibt!“
Bundesweit steigt, z.B. mit den Aktionen des massenhaften Zivilen Ungehorsams von „Ende Gelände“, der Widerstand gegen die Braunkohle-Verbrennung.

2016 wurde ein Klagebündnis zwischen der BI „Pro Pödelwitz“, Greenpeace und dem BUND gebildet. Aus Angst, dass die MIBRAG beginnen könnte, Häuser im weitgehend leeren Dorf abzureißen, gründen zahlreiche Gruppen aus dem Raum Leipzig 2017 das Bündnis „Pödelwitz bleibt!“. Dieses organisiert monatlich Veranstaltungen, um auf die Lage des Dorfes aufmerksam zu machen – von roten Linien gegen Kohle über Podiumsdiskussionen in Leipzig bis zu Chorkonzerten in der Pödelwitzer Kirche. Greenpeace-Aktive reparieren in einer spektakulären Aktion Häuser, welche die MIBRAG beschädigt hat, und werden dafür von der Polizei wegen Hausfriedensbruch abgeführt.

2018: Ein bewegtes Jahr
Im Sommer 2018 findet das erste „Klimacamp Leipziger Land“ mit über 1000 Besucher*innen aus der ganzen Welt mitten im Dorf statt – und verschafft dem Widerstand in Pödelwitz eine breite Öffentlichkeit. Im Rahmen des Camps findet eine Massenaktion der Initiative „Kohle erSetzen“ statt: hunderte Menschen blockieren die Zufahrt zum Kraftwerk Lippendorf.

Im November 2018 gründen im bedrohten Dorf Kuckum im Rheinland Betroffene von Zwangsumsiedlung das deutschlandweite Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ – um den Kampf für den Erhalt der Dörfer auf die Bundesebene zu heben. Gleichzeitig nehmen die Proteste um die Räumung und angekündigte Rodung des Hambacher Forsts zu: Die Räumung der zahlreichen Baumhäuser zieht sich über Wochen hin, unzählige Kleingruppenaktionen und Demonstrationen mit bis zu 50.000 Menschen sorgen für globale Aufmerksamkeit und Solidarität. Aus Pödelwitz wird ein selbstgebautes Baumhaus direkt in den Hambacher Forst gefahren.
Ende 2018 zieht eine handvoll junge Klima-Aktivist/*innen nach Pödelwitz, um die Dorfbewohner/*innen im Kampf um das Dorf zu unterstützen und gründet das Projekt „Aufstand am Abgrund“ (AAA).

2019: Die Kohlekommission und die Antwort darauf
Im Januar 2019 liegt der Abschlussbericht der Kohlekommission vor. Weder entspricht das Ergebnis den Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens, noch den Erwartungen der Betroffenen – die bedrohten Dörfer werden kaum erwähnt. Dennoch stimmen die in der Kommission vertretenen Umweltverbände sowie eine der beiden Betroffenen dem Ergebnis zu. Zutiefst schockiert nehmen die Bewohner*innen die Ergebnisse zur Kenntnis. Kurze Zeit später kommt es nach zu den ersten Baggerbesetzungen im Tagebau bei Pödelwitz.
Im Sommer vor der Landtagswahl 2019 findet das zweite Klimacamp Leipziger Land statt. Kreative und ungehorsame Aktionen kleiner Gruppen und eine Demo setzen wieder ein Zeichen gegen die Kohle.

Herbst 2019: Pödelwitz soll erhalten bleiben!
Im Herbst 2019 sprechen sich die Koalitionspartner*innen der neuen sächsischen Landesregierung (CDU, SPD und Grüne) in ihrem Koalitionsvertrag für den Erhalt des Dorfes aus. Auch wenn der Erhalt von Pödelwitz nun ein Vorhaben der Regierung ist, müssen die rechtlichen Grundlagen für den Erhalt noch geschaffen werden.

2020: Gründung der AG Dorfentwicklung und Alle Dörfer Bleiben – Halle/Leipziger Land
Das Bündnis „Pödelwitz Bleibt!“ beschließt Anfang 2019, sich umzubenennen in „Alle Dörfer Bleiben – Halle/Leipziger Land“. Die „AG Dorfentwicklung“ setzt sich zum Ziel, Schritte in Richtung Rechtssicherheit sowie einer selbstbestimmten, nachhaltigen und klimagerechten Dorfentwicklung zu machen. Im Juni 2020 legt die Bürgerinitiative “Pro Pödelwitz” zusammen mit den Dorf-Bewohnerinnen und zahlreichen Bündnispartnerinnen das Maßnahmenpapier „Pödelwitz hat Zukunft“ [Link] vor. Während im Rheinland der Kohlekonzern RWE am Tagebau Garzweiler Bäume rodet und der Tagebau den Dörfern Lützerath und Keyenberg bedrohlich näher rückt, pflanzt „Alle Dörfer Bleiben – Halle/Leipziger Land“ in Pödelwitz Bäume. Bündnispartnerinnen und Unterstützerinnen, welche sich in den letzten Jahren für den Erhalt des Dorfes eingesetzt haben, sind die Baumpat*innen.

2021: Die MIBRAG und die sächsische Regierung einigen sich darauf, dass die Ortslagen Pödelwitz und Obertitz nicht mehr bergbaulich in Anspruch genommen werden.
Am 21.02.2021 wird nach der Einigung zwischen der MIBRAG und der sächsischen Landesregierung bekannt gegeben, dass die Ortschaften Pödelwitz und Obertitz erhalten bleiben sollen. Nun stellt sich vor allem die Frage, was mit dem Dorf und den Grundstücken im Besitz der MIBRAG passieren wird und wer dabei hoheitlicher Entscheidungsträger ist.

In einem Dankesgottesdienst der Gemeinde Groitzsch danken die Pödelwitzerinnen, Aktivistinnen und Unterstützer*innen allen, die sich für den Erhalt des Dorfes eingesetzt haben. 12 Jahre Widerstand sind von Erfolg gekrönt. Zum „Kultur Ohne Kohle“-Festival im Rheinland im August 2021 feiert das „Alle Dörfer Bleiben – Halle/Leipziger Land“ gemeinsam mit der Antikohlebewegung im bedrohten Dorf Lützerath um zu unterstreichen, dass ALLE Dörfer bleiben sollen – hier, im Rheinland, in der Lausitz und weltweit.

 

Der Text ist ausschnitthaft einem Poster zur Pödelwitzer Widerstandsgeschichte entnommen, das im Sommer 2021 von Alle Dörfer Bleiben Halle/ Leipziger Land erstellt wurde.  Das gibt es hier zum Download oder ihr schreibt eine Email mit der gewünschten Stückzahl und einer Lieferadresse an poedelwitz.bleibt@bund-sachsen.de